«Chris the Swiss» – von Anja Kofmel, Anidoc Langfilm
Spurensuche in Kroatien, Januar 1992: Die Geschichte von Christian Würtenberg, ein Schweizer Journalist, der in den frühen 90er-Jahren bei Recherchen für eine Geschichte in Kroatien mitten in den Jugoslawienkriegen ums Leben kam. Unter mysteriösen Umständen wird er tot aufgefunden, erdrosselt. Er trug die Uniform einer internationalen Söldnertruppe. Zugleich ist es auch die Geschichte einer jungen Frau, die sich 20 Jahre später aufmacht, den Grund für den Tod ihres Cousins herauszufinden. Die junge Frau ist Anja Kofmel, Autorin und Regisseurin von «Chris the Swiss». Ihr Cousin Chris ist ihr grosses Idol: Als 10-jähriges Kind findet sie ihn cool, gut aussehend, wild. Ein Abenteurer und Draufgänger. Er ist ehrgeizig und ambivalent.
© Fotos «Chris the Swiss», Anja Kofmel, 2017
Abenteuer oder Alptraum? Täter oder Beobachter?
Aus der Perspektive des kleinen Mädchens, das vieles nicht verstehen und einordnen kann, wird die Geschichte erzählt. Der Film beginnt mit Anja Kofmels Gedanken und dieser unheilvollen Nacht, als alle Erwachsenen nur wisperten und nichts erklärten. Wer hat Chris ermordet und warum? Was ist Chris’ Beteiligung an diesem Konflikt? Warum trug er die Söldneruniform der internationalen rechtsradikalen Söldnerbrigade PIV (First International Platoon of Volunteers)? Hat er für eine Geschichte verdeckt ermittelt? Hat ihn eine Ideologie gepackt oder hat er die Seiten gewechselt? Im Krieg kann man sterben. Zagreb liegt im Serbenfeuer, der nationalistische Hass entmenschlicht. Chrigi ist mittendrin und kann sich dem nicht entziehen. Hat «Chris the Swiss» (sein Rufnahme) Blut an den Händen? Eine Kriegsreporterin schildert in einem Interview, dass er an einem Buch schrieb. Das Manuskript ist verschollen. Anja Kofmel zeigt grossen Mut und Hartnäckigkeit. Sie interviewt Terroristen und andere schwarze Figuren. Es ist eine Annäherung, die Geschichte kann nicht vollständig rekonstruiert werden. Die Perspektive des kleinen Kindes wechselt bald zur kritischen und klugen Untersuchung einer Erwachsenen, das wird mit animierten Sequenzen dargestellt. Die journalistischen Interviews sind in Realfilm festgehalten. Dokumentarisches Material mit Animation rekonstruiert und schlüssig verknüpft. Das Ganze ist handgezeichnet und monochrom, in Gothic Ästhetik. Vom Kriegshorror bis zur angsteinflössenden Schönheit ist dieser investigative und aufregende Animationsdokfilm beeindruckend gelungen. Schwärzer als schwarz. Chris und Anja verbindet vieles, beide sind 27 Jahre alt, beide sind unerschrocken und zäh, beide brechen auf, sind neugierig und suchen das Dahinter. Anja Kofmel webt subtil ein, was Chris’ Wagnis und sein ungeklärter Tod mit der Familie anstellt: Die Mutter möchte gerne nochmals mit Chris blödeln, der Bruder hadert und klagt seinen Bruder hart an. Nur mit den Mitteln der Animation ist ein Film wie dieser möglich. Das Halstuch und die Kinderzeichnung werden zur Metapher.
Livebericht aus Zagreb – was «Chris the Swiss» auslöst
Am Fantoche beim Q&A berichtet Anja Kofmel darüber, was der Film auslöst. Das Produktionsstudio in Zagreb musste schliessen und der Inhaber steht unter Anklage. Die Aufarbeitung der Geschichte ist hochpolitisch. Es gibt noch überlebende Akteure. Einerseits wurde der Film von Zagreb gefördert, man ist stolz auf den internationalen Erfolg an den Festivals und andererseits ist der Film nicht erwünscht.
Making-of-Ausstellungen «Chris the Swiss»:
— Animatorium Zürich, Leuengasse 15, 8001 Zürich: Bis zum 29. 9.2018.
— Kunstraum Baden, «Chris the Swiss» ist Teil der Ausstellung «Swiss Animation – bewegt!», bis 16. September 2018.
© Making-of-Fotos «Chris the Swiss», Anja Kofmel, 2017. Alle Bilder von Irene Jost, Ausstellung Kunstraum Baden.
© Anja Kofmel in ihrem Studio, beim Arbeiten für «Chris the Swiss», 2017.
Kurzbiografie: Anja Kofmel (*1982) schloss an der Hochschule Luzern ihre Ausbildung als Animationsfilmemacherin (2004-2008) mit dem Diplomkurzfilm «Chrigi», 2009, ab. Weitere Kurzfilme: Selling Shoes, 2005; BoxerBox, 2005; Je Suisse, 2004; Strichcode, 2003.
Filmstart in den Schweizer Kinos: Deutschschweiz: Ab 9. September im RiffRaff Zürich, offzieller Start ab 13.9.2018. Westschweiz: Ab 17.9.2018.
Bildquellennachweis «Chris the Swiss»: © Alle Fotos aus dem Film von Anja Kofmel, Fantoche/Medien, Dschoint Ventschr Filmproduktion. Making-of-Bilder aus Ausstellung im Kunstraum Baden von Irene Jost.
Fantoche 2018 — meine Darlings #2 und #3:
→ «Another Day of Life», Animationsdokfilm
→ Fantoche 2018 #3: Lang-/Kurzfilme, Retrospektive Vera Neubauer, Musikvideos etc.
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