Wind, stechende Sonne, staubig trockene Hitze, Regen. Ein Buch hängt an der Wäscheleine. Die Idee stammt von Marcel Duchamp.
Das Hochzeitgeschenk von Marcel Duchamp
Marcel Duchamp hat bei der Heirat seiner Schwester Suzanne mit seinem nahen Freund Jean Crotti am 14. April 1919 die beiden in einem Brief angewiesen, ein Geometriebuch auf dem Balkon ihrer Wohnung aufzuhängen, damit der Wind das Buch durchblättern, sich seine eigenen Probleme aussuchen, die Seiten umwenden und herausreissen könne. Ein ungewohntes Hochzeitgeschenk. Das Paar folgt diesen Anweisungen begeistert. Ein Foto zeugt von diesem Readymade. Suzanne malte später ein Bild davon, mit dem Titel «Le readymade malheureux de Marcel».
Duchamp erzählt Cabanne: «Es amüsierte mich, die Idee von glücklich und unglücklich in die Readymades einzubringen, und dann der Regen, der Wind, die flatternden Seiten, es war eine amüsante Idee.»
Das ganze Leben von Marcel Duchamp war ein Readymade. Wie ist das zu verstehen? Eine Art, das Schicksal zu besänftigen und gleichzeitig Alarmsignale auszusenden.
Er erzählte Interviewern, «es habe ihm Spass gemacht, die Ernsthaftigkeit eines Buches voller Prinzipien herabzusetzen.» Oder er deutet an, «dem Wetter ausgesetzt habe das Traktat endlich ein bisschen was vom Ernst des Lebens begriffen.»
Das Buch zum Blog
Mein Blog ist inspiriert von Roberto Bolaños grossem Monumentalwerk «2666», Carl Hanser Verlag, München, 2009: Amalfitano, ein Hauptprotagonist im zweiten Teil des Romans, stösst in einer Bücherkiste auf ein Buch: Das «Geometrische Vermächtnis» von Rafael Dieste, 1975. Er kann sich nicht erinnern, dieses Buch zu kennen oder gekauft zu haben. In seinen Gedanken und Phantastereien lässt sich Almalfitano treiben, bis er das Geometrie-Buch mit den Wäscheklammern – die er hartnäckig «Hündchen» nannte – an die Leine in seinem verödeten Garten hängte.
Quellennachweis: Die Zitate und Geschichten über Marcel Duchamp stammen aus dem Roman «2666» von Roberto Bolaño, Seiten 232–239; da zitiert Bolaño auch Calvin Tomkins Schriften. Fotos alle von Irene Jost.
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