Animationsfilme – aufgefallen am Fantoche 2016

# Zufälle

«La Tortue Rouge» von Michael Dudok de Wit – Langfilm
Die Geschichte kommt ohne Worte aus. Handgemalt mit Kohle und Aquarellfarben. Die Bilder sind in den Details und Lichtführung einzigartig. Die melancholische Musik erzeugt eine intensive Stimmung, nebst der Kamera, Körperbewegungen, Blickwechsel und der grossen Animationsarbeit. Ein poetisch sinnliches Gesamtkunstwerk. Die zauberhafte Geschichte eines Schiffbrüchigen, der auf einer unbewohnten Insel strandet, auf der nur Vögel und neugierige Krebse leben. Seine Versuche zur Flucht werden mehrmals von der geheimnisvollen Kraft der roten Schildkröte vereitelt. Naturgewalt trifft auf Überlebenswillen. Mythologie auf Liebe. Der Kreislauf des Lebens.

«Bei meinen Zeichnungen achte ich sehr stark auf Atmosphäre, Licht und Schatten, und den Raum. Der Einsatz von Schatten ist zu meiner optischen Lieblingstechnik geworden.»

Mit dem Kurzfilm «Der Mönch und der Fisch», 1994, schaffte Dudok de Wit den Durchbruch. Der erste Langfilm des Holländers entstand ungewöhnlich. Nachdem 2006 Hayao Miyasaki, der Co-Gründer des Ghibli-Studios den Kurzfilm «Vater und Tochter» (200O) gesehen hat, fragte er Dudok de Wit an, ob er einen Langfilm mit ihnen machen möchte. Ein Schock. Der Freude. So begann die unglaubliche Geschichte für diesen sehr aufwändigen Animationsfilm, der im Mai 2016 in Cannes seine Premiere hatte – als erste internationale Koproduktion des japanischen Ghibli-Studios.

Maarten Schmidt/Thomas Doebele haben während 2 Jahren den Dokumentarfilm «The Longing of Michael Dudok de Wit» gedreht und den Animationsfilmemacher porträtiert und sein Team während dem Entstehen von «La Tortue Rouge» begleitet.

Fusion x64 TIFF File

© «La Tortue Rouge», 80′, ohne Dialog, 2016, FR/JP, Michael Dudok de Wit, Zeichnung auf Papier, 2D-Computeranimation. Kinostart am 22.9.2016.

 

«Pisconautas – Los ninos olvidados» von Pedro Rivero, Alberto Vázquez – Langfilm
«Pisconautas» taucht in die Seelenlandschaft einer verlorenen Generation ein. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Comicband «Pisconautas» des spanischen Illustrators, Comic-Zeichners und Regisseurs für Animationsfilm Alberto Vázquez. Das Ökosystem der Insel wurde durch eine industrielle Explosion zerstört. Die vergessenen Kinder auf den Schrottbergen der ehemaligen Industrieanlagen ringen mit der Welt und ihrem Alltag zum Leben, Überleben, Weiterleben. Die Gier – gepaart mit dem Willen nach Leben – macht zerstörerisch und trüb. Die Hauptfigur – Birdboy – versucht ganz nach der Mission seines Vaters, die zerstörten Wälder zu retten. Eine Geschichte voller Grauen & Gräuel. Ungewöhnliche Figuren, surreale Wesen – wie eine aufblasbare Schwimmente, ein Sparschwein oder ein Wecker – erwachen zum Leben und zeichnen die düstere Stimmung zwischen den inneren Dämonen und der trostlosen Welt. Die Zukunftsvision ist eine finstere Fabel, die Wirklichkeit und Fantasie verwischt. Der Animations-Langfilm ist in allen Bereichen herausragend gemacht.

© «Pisconautas», 75′, 2015, ES, Pedro Rivero, Alberto Vázquez, 2D-Computeranimation

 

«Wrinkels/Arrugas» von Ignacio Ferreras – Langfilm
Emilio ist an Alzheimer erkrankt und wird von seinem Sohn in eine spanische Altersresidenz gebracht. Die Realität löst sich und die Vergangenheit wird immer mehr zur Gegenwart. Sein Zimmernachbar – Miguel – ist ein gerissenes Schlitzohr, der die geistigen Schwächen der Heimbewohner ausnutzt. Er führt Emilo in den Alltag ein und eine tiefe Freundschaft entsteht. Der ungewöhnliche Film von Ignacio Ferreras basiert auf dem gleichnamigen prämierten Comic von Paco Roca. Die Dialoge sind geistreich. Die Ängste der senilen und geistig umnachteten Bewohner werden sichtbar. Die Wahrnehmung der eigenen Krankheit, die Perspektiven zwischen ‹Wahnvorstellungen› und dem Verlorensein in der Krankheit. Panik und Hilflosigkeit. Ohne Sentimentalität oder Moral. Die Menschlichkeit ist eine Herausforderung und eine zentrale Frage. Ein grossartiger spanischer 2D-Animationsfilm. Aussergewöhnliche Sprecher.

© «Wrinkels/Arrugas», 89′, 2011, ES, Ignacio Ferreras, 2D-Computeranimation

Ausserdem drei kreative Langfilme:
«The Boy and the Beast», 118′, 2015, JP, von Mamoru Hosada, 2D-Computeranimation. Der Ort: Shibuya, ein Quartier in Tokio in Zeiten des feudalen Japans. Brilliant, schillernde Farben, ein ungewöhnliches Actionabenteuer – in der Tradition der japanischen Erzählweise zwischen Real und Fantasie. Gegensätze und Kontraste werden kombiniert mit den berührenden Erfahrungen aus dem echten Leben in einer abenteuerlichen Kulisse. Es geht um Väter & Söhne, Schüler & Lehrer, Freundschaft & Einsamkeit. → Video

«Cafard», 86′, BE/FR/NL, 2016, von Jan Bultheel, 2D-Computeranimation. Debut-Film. Die Ästhetik an diesem Film ist beglückend: Inspiriert von der impressionistischen Malerei und Comic-Novellen, alles minimalistisch umgesetzt, erinnert an Computerspiele. Die Wirkung ist emotional kritisch und hat eine eigene Sogkraft. Die Technik ist in Motion-Capture-Technik gedreht: statt eines Storyboards kann auf echte Darstellerinnen gesetzt werden. → Video

© Screenshot aus «Cafard» von Jan Bultheel

 

«Nerdland» von Chris Prynoski – Langfilm
John und Elliot sind Verlierer-Typen, sie verfügen über keine besonderen Talente und es gibt nichts, was sie nicht versuchen, um berühmt zu werden. Ihre Odysseen um digitale Stars zu werden oder Frauen zu erobern sind sehr unterhaltsam. Ein ironisches Spiegelbild auf die Aufmerksamkeits-Gesellschaft, rasant und energisch, witzig und unverschämt. Knallig und surreal.

© «Nerdland», 85′, 2016, US, Debut Langfilm von Chris Prynoski, 2D-Computeranimation

 

Fantoche 2016 – Kurzfilme aus dem Internationalen Wettbewerb
Diese Werke haben mich eingenommen: Erzählerisch gewagt, ungewöhnliche Themen, experimentell und künstlerisch überraschend. Mauern werden lebendig. Stimmungen erzeugen Echos. Der Kopf platzt wegen dem Denken. Ein Metroit sorgt für Leben und wucherndes Grün. Algorithmische Klangfetzen und Bildsplitter.
«Forever», Zhong Su, CN 2016, 17′
«Peripheria», David Coquard-Dassault, FR, 2015, 12′20′′ → Video
«Le bruit du gris», Vincent Patar, Stéphane Aubier, BE/FR, 2016, 3′02′′
«Urbanimatio», Hardi Volmer, Urmas Jóemees, EE, 2016, 8′
«Love», Réka Bucsi, FR/HU 2016, 14′ → Video
«Jungle Taxi», Hakhyun Kim, JP, 2016, 7′44′′
«Mr Madila», Rory Waudby-Tolley, GB, 2015, 8′37′′ → Video
«Any Road», Boris Labbé, Daniele Ghisi, FR, 2016, 10′04′′ → Video
«Analysis Paralysis», Anete Melece, CH, 2016, 14′

© Screenshot aus «Forever» von Zhong Su

 

Hors Concours
Hors Concours ist ein neues Programm mit herausragenden Kurzfilmen, die es nicht in den internationalen Wettbewerb vom Fantoche 2016 geschafft haben.
«Une tête disparaît», Franck Dion, FA/CA, 2016, 9′28′′, 2D-Computeranimation → Video
«Frankfurter Str. 99a», Evgenia Gosterer, DE, 2016, 5′03′′, Stop Motion, Knetanimation, Malerei, Knete auf Glas. → Video
«Children of Future Sleep», Ivan Gopienko, BY, 2015, 9′48′′, 2D-Computeranimation. → Video
«Ships of years past», Greorgiy Boguslavskiy, RU, 2015, 15′24′′, Puppenanimation, Stop Motion → Video

© Screenshot aus «Frankfurter Str. 99a» von Evgenia Gosterer

 

Konstantin Bronzit
Konstantin Bronzit ist ein russischer Animationskünstler, gute Geschichten mit viel Humor. Der Kurzfilm «We Can’t Live Without Cosmos» ist herausragend: Der harte Alltag von zwei Cosmonauten, Freunde seit der Kindheit, die ihren Traum verfolgen trotz Schinderei in der Ausbildung. Fast am Ziel, nimmt die Geschichte der Cosmonauten eine ungewohnte Wendung, die mehrere Ebenen gekonnt verstrickt und ein kritisches Manifest ist.
«Lavatory Lovestory», Konstantin Bronzit, 9′45′′, RU, 2006 → Video
«We Can’t Live Without Cosmos», Konstantin Bronzit, 16′, RU, 2014 → Video

© Screenshot aus «We Can’t Live Without Cosmos» von Konstantin Bronzit

 

Animationsfilme in der Musik – Musikvideos

© «Oasis» (La Chica), 3′55′′, 2015, BE, Marion Castéra → Video

© «Katachi» (Shugo Tokumaru), Shape, 3′5′′, 2013, PL/JP, Przemyslaw Adamski, Katarzyna Kijek → Video

© «And And» (Toru Matsumoto), 6′50′′, JP, 2011, Mirai Mizue → Video

Alle Musikvideo–Animationsfilme: → Übersicht Fantoche-Programm

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