Meine Literaturempfehlungen 2015

# Zufälle

Spanische und lateinamerikanische Autoren erzählen und denken anders. Besonders gefallen haben mir diese Bücher:

literaturempfehlungen-2015-zufaelle_irene-jost

César Aira, Argentinien
César Aira schreibt Bücher im Umfang von 100 Seiten, nie mehr. Seine Sprache ist eine fantastische Freibeuterei. Richtungswechsel, eine Kette von Ereignissen, schicksalhafte Unvermeidbarkeiten, exzentrische und wundersame Welten, Sprache und Erzählkonstruktionen mit Genresprüngen, aberwitziger Humor.

«Wie ich Nonne wurde», 2015: Aus der Sicht des kleinen Mädchens geschrieben. Mit einem Erdbeereis beginnt alles …

«Der Beweis», 2015: Jugendliche Frauen-Punks. Mao, Lenin kommen zur Sache in ihrem Liebesbeweis für Marcia – ein spektakuläres wie absurdes Unterfangen.

«Der kleine buddhistische Mönch», 2015: Die dritte Novelle führt nach Korea, ein Spiel von Virtualität und Sinnestäuschung beginnt. Die Differenzierung zwischen Erscheinung und Wesen wird hinfällig.

Der Gang der Ereignisse ist stets unvorhersehbar. Die drei Geschichten bewirken Entleerung in verschiedener Hinsicht. Erfrischend. Gedanken platzen wie Luftballons.

Javier Marías, Madrid/Spanien, 2015 — «So fängt das Schlimme an»
Der Meister der Stimmungen, kunstvoll schwebend. Sein Buch kam 2014 in Spanien raus, es ist so grossartig wie «Morgen in der Schlacht, denk an mich.» Oder «Mein Herz so weiss.». Wer sich auf das Buch einlässt, liesst es wie im Rausch.

Javier Marías grosse Themen Ehe und Mord, erbärmliche Geschäfte der Künste, und der heimliche Beobachter von Sex & Crime als Shakespeare von heute.
Die grosse Kunst von Javier Marías liegt in diesem lockeren Erzählgewebe mit biografischen Rätsel, Nebengedanken oder vordergründig Alltäglichem. All die grossen Themen – Lieben und Betrügen, Sterben und Verführen, Lüge oder Wahrheit, Diktatur oder Freiheit. Die Freiheit des Denkens. Ein vergessen geglaubter Schwebezustand.

Ricardo Piglia, Argentinien — «Munk», 2015
Der «Unabomber» Theodore Kaczynski diente als Vorbild für Piglias Roman, 1996. Halbfiktion.
In «Munk» geht Piglia dem Zusammenhang von Theorie und Terror nach und erzählt, wie der Drang nach radikaler Aufklärung in gefühlskalte Mordlust umschlägt.
Was als Campus Novelle beginnt, verwandelt sich erzählerisch in einen Kriminalroman mit dem Drive und Leichtigkeit eines Hardboild-Krimis. Das Psychogramm eines kaltblütigen Täters mit revolutionären Ideen verwoben mit Literatur und Joseph Conrad. Scharfsinnig beobachtet Piglia, dass in den USA, vor allem an den Universitäten, viele Leute einem radikalen Denken anhängen, dieses aber genauso radikal von ihrer und der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit trennen. Was zu Doppelleben oder mehrerer Leben gleichzeitig führt.

Ausserdem:

Ein Klassiker aus Norwegen, 1890 (2009 neu übersetzt):
«Hunger» von Knut Hamsum
Nie war Hunger eindrücklicher beschrieben, was Hunger körperlich und seelisch bewirkt. Realismus pur.

Debut-Roman Österreich/Schweiz vom 2009:
«Verlangen nach Drachen» von Verena Rosbacher
Das Kaffee Neugröschel zieht Hochstapler, Sammler, Musiker und Originale der Stadt an. Alle Figuren faszinieren durch ihren Eigensinn, ausgefallene Interessen und charakterliche Unausgewogenheiten. Die geheimnisvolle Klara steht im Zentrum. Entwicklung, Verwandlung, Liebe – eine Melange von derbem Humor, Fantasie und grosser Fabulierkunst.

 

Weitere Blogs – Meine literarischen Entdeckungen:
→ Literaturempfehlungen 2020
→ Literaturempfehlungen 2019
→ Literaturempfehlungen 2018
→ Literaturempfehlungen 2017
→ Literaturempfehlungen 2016

Share this Post